Die Evolution des Werkzeugbaus

Interview mit Prof. Dr.-Ing. Thomas Seul, Professor an der Hochschule Schmalkalden

Prof. Dr.-Ing. Thomas Seul, Professor für Fertigungstechnik und Werkzeugkonstruktion an der Hochschule Schmalkalden © wortundform
Prof. Dr.-Ing. Thomas Seul, Professor für Fertigungstechnik und Werkzeugkonstruktion an der Hochschule Schmalkalden © wortundform

08.01.2020

Prof. Dr.-Ing. Thomas Seul schildert in diesem Interview, warum er gemeinsam mit dem Kunststoff-Cluster das Projekt NextMould ins Leben gerufen hat und wie er die Stärken der heimischen Unternehmen einschätzt.

Prof. Dr. Seul, Sie haben das Projekt NextMould initiiert. Worum geht es im Projekt und warum war es Ihnen wichtig, diese Forschungsthematik für den Werkzeugbau aufzugreifen?

Das Projekt befasst sich mit der strategischen Umsetzung neuer Technologien im Werkzeug- und Formenbau. Es ist wichtig, dass gerade in der Region Schweiz-Österreich-Deutschland-Luxemburg Innovationen im Werkzeug- und Formenbau vorangetrieben werden. In diesem Fall haben wir mit österreichischen Partnern ein Forschungsprojekt gestartet, um wieder einen kleinen Meilenstein für die Branche zu setzen. Projektpartner sind die Hochschule Schmalkalden (Angewandte Kunststofftechnik), die Technische Universität Ilmenau (FG Fertigungstechnik), die University of Applied Sciences Upper Austria, der Kunststoff-Cluster, die FGW sowie von institutioneller Seite das deutsche Bundesministerium für Wirtschaft und Energie sowie die Österreichische Forschungsförderungsgemeinschaft.

NextMould beschäftigt sich mit Aluminium statt Stahl als Werkstoff für Serienwerkzeuge. Viele Werkzeug- und Formenbau-Unternehmen sind Aluminium gegenüber in der Serienanwendung skeptisch. Warum glauben Sie dennoch an den Werkstoff Aluminium?

Der Werkstoff Aluminium birgt ein erhebliches Potenzial, wenn es um die Temperierung eines Werkzeugs geht. Ein Werkzeug aus Stahl wird permanent auf 60°C oder 80°C erhitzt, ein Hochtemperaturwerkzeug weit über 100°C. Um Energie zu sparen, zielt das Projekt darauf ab, Werkzeuge nur so hoch aufzuheizen, wie es für den Spritzgießprozess nötig ist. Aluminium ist dabei ein gutes Hilfsmittel, um schnelle, hochflexible Temperaturzyklen hinzubekommen, weil seine Wärmeleitfähigkeit viel höher ist als bei Stahl. Das ist eigentlich ein „alter Hut“, aber die neuen Aluminiumsorten bringen heute teilweise mechanische Festigkeiten mit, die schon in Richtung Stahl gehen. Und hier wollen wir durch neue Beschichtungstechnologien die Standfestigkeiten erhöhen, sowie die Wärmeübergangseffekte in der Grenzfläche zwischen Kunststoff und Aluminium zielgerichtet anpassen. Parallel dazu werden auch die Potenziale des Aluminiums bei der Additiven Fertigung in Verbindung mit nachgelagerten Beschichtungstechnologien untersucht.

Beim Projekt wird die Technologie des Lichtbogenschweißens aufgegriffen. Für den Werkzeug- und Formenbau ist das keine neue Technologie, wohl aber für den Bereich der Additiven Fertigung von Werkzeugen. Wie sehen Sie generell die Additive Fertigung im Werkzeugbau?

Die Additive Fertigung im Werkzeug- und Formenbau bezieht sich derzeit auf kleinere Strukturen, beispielsweise Bauteilgrößen von 100 × 100 × 100 mm. Beim Projekt „TemGro“ von 2016 setzen wir die Lichtbogen- und Diffusionsschweißtechnik bei sehr großen Bauteilstrukturen ein. So wurde sowohl die Kavität als auch der rückwärtige Teil hinter der Kavität additiv aufgebaut. Dieses Projekt beschäftigte sich zwar mit dem Werkstoff Stahl, wir haben aber auch einige Vorversuche mit Aluminium gemacht und festgestellt, dass das Metall großes Potenzial bietet. Per Auftragsschweißen lassen sich mit Aluminium sehr schnell Bauteile und Geometriestrukturen für ein Werkzeug herstellen. Interessant ist auch: Die Erkenntnisse lassen sich leicht in den Stanz- und Umform-Werkzeugbau überführen.

NextMould verbindet österreichische sowie deutsche Forschungseinrichtungen und Unternehmen. Wenn Sie an die österreichischen Werkzeugmacher denken, wo liegen aus Ihrer Sicht deren Stärken und Schwächen?

Der Unterschied zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz ist nicht groß. Die Stärke, die uns alle auszeichnet, ist die sehr neue und hoch entwickelte Technologie, die in der Herstellung der Werkzeuge und Formen genutzt wird. In Österreich findet man eher sehr spezielle Werkzeug- und Formenbau-Unternehmen, die sich auf Technologien oder branchenspezifische Lösungen stützen, die in Deutschland nicht in dieser Form abgebildet werden. In Österreich haben die Unternehmen ihre Nischen gefunden, um auch im globalen Markt bestehen zu können. Und sicherlich sind dann für bestimmte Anwendungsfälle die kurzen Wege ein echter Vorteil. Immerhin ist auch einer der größten Spritzgussmaschinenhersteller in Österreich ansässig.

Welche technologischen und organisatorischen Entwicklungen beeinflussen den Werkzeug- und Formenbau aktuell und in Zukunft?

Die technischen Innovationen, die sich um die altbekannten Arbeitsfelder wie Präzision, Flexibilität in der Fertigung oder robuste Prozesse drehen, werden zunehmend flankiert vom großen Thema Digitalisierung. Und hier stehen die Menschen im Mittelpunkt. Denn um Nutzen aus der Digitalisierung zu ziehen, muss man die neuen Anwendungen akzeptieren. Ich erwarte hier allerdings Entwicklungen eher evolutionären als revolutionären Charakters. Ein weiteres Thema sind additive Fertigungsverfahren. Sie bergen viele komplexe Sachverhalte. Doch mit etwas strategischer Organisation lassen sich diese neuen Verfahren sinnvoll und vor allem gewinnbringend einsetzen.

Der Werkzeugbau hierzulande besteht vor wiegend aus klein- und mittelständisch geprägten Betrieben. In Zeiten, die wirtschaftlich turbulenter werden, ist es gerade für die kleinen Betriebe oft sehr schwierig. Welche Tipps geben Sie diesen Unternehmen?

Ja, unsere Branche ist und bleibt kleinteilig, wir sind Höhen und Tiefen der wirtschaftlichen Konjunktur stark ausgesetzt. Bei der Internationalisierung sollte jedoch noch mehr herausgeholt werden. Denn eine globale Ausrichtung kann sich schnell – insbesondere für KMU – als überlebensnotwendig erweisen. Da sind z.B. Sprachkenntnisse wichtig: Ich muss nicht nur E-Mails beantworten, sondern mitunter auch Verträge auf Englisch lesen können. Das kann für einen 20 Mann starken Betrieb eine Einstiegshürde sein. Hier können strategische Allianzen oder Institutionen wie der Kunststoff-Cluster helfen: Standards setzen, juristische Beratung anbieten, Besuche von Delegationen organisieren etc.

Prof. Dr.-Ing. Thomas Seul ist an der Hochschule Schmalkalden Professor für Fertigungstechnik und Werkzeugkonstruktion. Er vertritt in der Fakultät Maschinenbau insbesondere die Lehr- und Forschungsaktivitäten in dem Studiengang Angewandte Kunststofftechnik. Die Schwerpunkte seiner Forschungstätigkeiten liegen in der Produktentwicklung von Kunststoffbauteilen sowie in der Werkzeugkonstruktion, speziell für die Medizintechnikbranche.

>> Infos zum Forschungsprojekt „NextMould“