23.09.2024
1999 wurde der Kunststoff-Cluster in Oberösterreich gemeinsam mit den Standortpartnern gegründet. Die Idee und Initiative kam vom damaligen Wirtschaftslandesrat und späteren WKO-Präsidenten Christoph Leitl. Er wollte den Innovationstransfer von der Forschung in die Unternehmen fördern und dabei besonders kleine und mittlere Betriebe zu mehr Kooperation bewegen.
Bereits im Jänner 2005 erfolgte ein Meilenstein für die Cluster-Strategie: die Einbindung von Niederösterreich als zweiten Träger der Clusterinitiative. Mittlerweile umfasst das Branchennetzwerk 400 Partnerbetriebe, die mehr als 65.000 Menschen beschäftigen und 18 Milliarden Euro jährlich erwirtschaften. Mehr als 70 Prozent der Unternehmen sind KMU. Anlass genug, um im Gespräch mit den Geschäftsführern der beiden Trägerorganisationen, Werner Pamminger von der oberösterreichischen Standortagentur Business Upper Austria und Helmut Miernicki von ecoplus, der Wirtschaftsagentur des Landes Niederösterreich, auf ein Vierteljahrhundert erfolgreiche Clusterarbeit zurückzublicken.
Pamminger: Kunststoffe zählen zu den wichtigsten Werkstoffen des 21. Jahrhunderts und stehen für Forschung und Innovation. Sie sind eine Wachstumsbranche der Zukunft. Um dem Wettbewerbsdruck und den Anforderungen neu entstehender Märkte und Marktnischen besser entgegentreten zu können, brauchte es damals schon Netzwerke, die die Kräfte der regionalen Wirtschaftstreibenden bündeln.
Miernicki: Der Mehrwert von überbetrieblichen Kooperationen für die Unternehmen wurde sehr schnell sichtbar. Seitens ecoplus haben wir 2001 als ersten Schritt eine eigene Clusterinitiative für die Bauwirtschaft geschaffen, weitere sind im Lauf der Jahre gefolgt. Unser langfristiges Ziel war und ist es, die Schlüsselbranchen der niederösterreichischen Wirtschaft mit hochspezialisierten Clusterteams zu unterstützen und entsprechend dem Motto „Innovation durch Kooperation“ die Innovationskraft der Betriebe zu stärken.
Der Kunststoffsektor ist in Niederösterreich ein wesentlicher Wirtschaftstreiber und Innovationsmotor, die Betriebe sind weit über die Landesgrenzen hinweg aktiv. Daher wurden zwischen Niederösterreich und Oberösterreich schon sehr bald Gespräche über einen gemeinsam geführten Kunststoff-Cluster aufgenommen. 2005 wurde die Kooperation offiziell gestartet und steht seither für Wissenstransfer im Dreieck Wissenschaft-Wirtschaft-Ausbildung.
Pamminger: Ein Cluster ist ein Netzwerk von Produzenten, Zulieferern, Forschungseinrichtungen, Dienstleistern, Handwerkern und Institutionen mit einer gewissen regionalen Nähe zueinander, die entlang einer Wertschöpfungskette entstehen. Sie stehen in einer Austauschbeziehung, verfolgen gemeinsame wirtschaftliche Interessen über den gegenseitigen Wettbewerb hinaus, bündeln ihre Kompetenzen und treiben so einen Wirtschaftsstandort sowie Innovationen voran.
Miernicki: Die Entwicklung der Cluster als Public-Private-Partnership-Initiativen folgt der niederösterreichischen Wirtschaftsstrategie und ist eine gute Basis für die erfolgreiche Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Gemeinsam werden Synergien genutzt, Innovationspotenziale bestimmt und erforderliche Forschungsaktivitäten definiert. In der Clusterarbeit sind nicht nur Fachwissen und Erfahrung gefragt, sondern auch Fingerspitzengefühl, denn es gilt, viele Rollen in der heimischen Wirtschafts- und Innovationslandschaft zu erfüllen. Die Cluster-Teams sind Vernetzer, Enabler, Koordinator, „Kümmerer“ und Motivator. Im Mittelpunkt steht immer die Frage, was die Unternehmen für ihre Weiterentwicklung brauchen und diesen Anforderungen entsprechend maßgeschneiderte Angebote zu entwickeln.
Pamminger: Kunststoff steht für Forschung und Innovation und damit für nachhaltiges Arbeitsplatz- und Umsatzwachstum. Als Maßstab für den Erfolg gelten die zahlreichen Kooperationsprojekte, in denen vor allem neue Technologien und Produkte entwickelt werden. Seit 1999 hat der Kunststoff-Cluster mehr als 450 Projektideen begleitet. Daraus sind 176 Kooperationsprojekte mit 568 Partnern und einem Projektvolumen von 28,2 Millionen Euro geworden. Der KC wirkte in 37 nationalen und 22 europäischen Forschungsprojekten mit. Andererseits haben wir den Ausbau der Forschungs- und Bildungsinfrastruktur angestoßen: Es gibt neue Kunststofftechnik-Studiengänge an der JKU und der FH Oberösterreich. Mit dem K1 Kompetenzzentrum CHASE und der LIT Factory an der JKU entstanden zwei Leuchtturmprojekte, die sich den zwei aktuellen herausragenden Herausforderungen der Kunststoff-Branche widmen: Digitalisierung und Circular Economy. Damit haben wir einen gewaltigen Innovationsschub in der Branche geschafft. Das bestätigt auch immer wieder der jährliche Bericht des Patentamtes, wo Oberösterreich seit zehn Jahren das Land mit den meisten Patenten ist. Das wäre dann die Messgröße für unser Motto „Innovation durch Kooperation“.
Miernicki: Eine Studie des Economica Instituts für Wirtschaftsforschung aus dem Jahr 2022 hat gezeigt, dass jeder Wertschöpfungseuro, der in Niederösterreich in einem Cluster-Projekt entsteht, weitere 66 Cent an zusätzlicher Wertschöpfung auslöst. Die Wertschöpfung der Cluster beläuft sich auf mehr als 220 Millionen Euro. Mehr als 1.200 Beschäftigungsverhältnisse in unserem Bundesland sind auf die Clusterprojekte zurückzuführen. Diese Zahlen sprechen nicht nur für unsere Cluster, sondern spiegeln auch die Innovationskraft unserer Betriebe wider und zeigen, welches kreative Potenzial in den Unternehmen vorhanden ist. Ebenfalls nachgewiesen wurden dank der Clusterarbeit eine Steigerung der Forschungsquote bei den Unternehmen, die kontinuierlich deutlich über dem Österreich-Schnitt liegt, gestärkte Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum oder Expansion in globale Märkte. Außerdem ist der KC bereits dreimal mit dem „European Cluster Excellence Gold Label“ ausgezeichnet worden, dem höchsten europäischen Gütezeichen für vorbildliches Clustermanagement.
Pamminger: Zusammenarbeit mit Niederösterreich hat es bei Forschungsprojekten von Anfang an gegeben, weil die Partnerbetriebe und Forschungseinrichtungen schon immer bundesländerübergreifend zusammengearbeitet haben. Aus oberösterreichischer Sicht war ich die treibende Kraft. Ich habe meine Karriere in der Standortagentur ja im Kunststoff-Cluster begonnen und ihn mehr als zehn Jahre als Cluster-Manager geleitet. Unser damaliger Beiratssprecher und Forschungsleiter bei KeKelit Karl Rametsteiner hat mich tatkräftig unterstützt.
Miernicki: Es war eine zentrale Forderung der Wirtschaft, Clusterinitiativen zu konzentrieren und in der Kunststoffbranche ein überregionales Wertschöpfungsnetzwerk zu schaffen. Treibende Kräfte waren die niederösterreichische Landesinnung der Kunststoffverarbeiter unter dem damaligen Vorsitzenden Gerhard Brunnthaler von der Miraplast Kunststoffverarbeitungs GmbH.
Pamminger: An den Grundsätzen hat sich nichts Wesentliches geändert: Bewusstseinsbildung, Informationsvermittlung und Wissenstransfer sowie Qualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, stärken der Wettbewerbsfähigkeit und Internationalisierung stehen nach wie vor im Fokus. Allerdings sehe ich eine Veränderung bei den konkreten Inhalten, insbesondere der Forschungsprojekte. Während es früher hauptsächlich neue Materialien wie Biokunststoffe, neue Produkte und neue Verfahren waren, stehen heute mehr die Kreislaufwirtschaft der gesamten Wertschöpfungskette sowie natürlich die Digitalisierung im Fokus.
Miernicki: Vor 20, 25 Jahren stand bei den KMU meist die Optimierung der eigenen Abläufe im Fokus. Die Unternehmen mussten erst identifizieren, in welchen Trends neue Chancen für sie liegen könnten. Heute wird die Komplexität der F&E-Aufgaben sowohl in der Bauteilentwicklung als auch in der Verfahrenstechnik immer höher und ist oft nicht mehr branchenspezifisch zu lösen. In verschiedenen Leitinitiativen arbeiten die Cluster-Unternehmen deshalb eng mit anderen Branchen zusammen. So finden Unternehmen in Special Interest Groups Kooperationsmöglichkeiten zu Themen wie Smart Plastics, Biokunststoffe, Leichtbau oder Kohlenstoffkreislauf.
Pamminger: Beim Start haben wir Pionierarbeit geleistet: Wir haben die Unternehmen und Forschungseinrichtungen erst vernetzen und die Vorteile einer Clusterpartnerschaft kommunizieren müssen. Heute leben wir in noch volatileren Zeiten als damals, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ändern sich schneller und dynamischer als je zuvor. Darauf müssen auch wir rascher reagieren und unser Dienstleistungsangebot an die Bedürfnisse des Marktes und unserer Partnerbetriebe dynamischer anpassen.
Miernicki: Die Grundlagen der Clusterarbeit sind grundsätzlich gleich geblieben: aktuelle Entwicklungen ausloten und wichtige Zukunftsthemen aufgreifen – immer mit dem Fokus darauf, was in der unternehmerischen Praxis gebraucht wird. Was sich stark geändert hat, sind die Themen. Heute dominieren Digitalisierung, der Einsatz und die Möglichkeiten von KI sowie Kreislaufwirtschaft und die Reduktion des Verbrauchs fossiler Rohstoffe. Projekte wie das Rec2Pack-Programm und Plastics4Value sollen dazu beitragen, Recyclingprozesse zu optimieren und wirtschaftlich tragfähige Lösungen zu entwickeln.
Pamminger: Clusterarbeit sorgt für einen Innovationsschub der beteiligten Unternehmen. Nicht nur in der Kunststoffbranche, aber gerade da, weil Kunststoff aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken, das Material der Zukunft und eine Wachstumsbranche ist. Durch Kooperationen und strategische Allianzen können die beteiligten Partner von den spezifischen Stärken des jeweils anderen profitieren. Die gemeinsame Marktbearbeitung trägt zur Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit bei.
Miernicki: Nicht nur der Kunststoff-, sondern alle Branchen-Cluster kommen flächendeckend dem ganzen Bundesland – in unserem Fall sogar länderübergreifend Ober- und Niederösterreich – zugute und haben eine hohe technologische Kompetenz. Das ist wichtig für den internationalen Wettbewerb. Auch branchenübergreifende Zusammenarbeit ist ein Erfolgsfaktor. Wichtig ist, dass durch die Kooperationen Wertschöpfung am Standort entsteht und damit auch die regionalen Lieferketten gefestigt werden. Das wurde auch durch Studien belegt und zeigt die Wirksamkeit der Clusterarbeit. In Niederösterreich haben wir den Fokus auch immer auf große Branchenprojekte gelegt, die ein weiterer Erfolgsgarant für die Cluster sind. Ein jüngeres Beispiel ist das Wintersport-Recycling-Projekt WINTRUST – ein großartiges Leitprojekt, das eine gesamte Branche transformieren kann.
Pamminger: Man muss wissen, wo die Bedarfe sind, was die Hemmnisse für eine Zusammenarbeit unter Firmen bzw. oft auch unter Mitbewerbern sind und wie man dazu die richtigen Initiativen setzt. Wir haben eine so starke und durchgängige Wertschöpfungskette, daher haben wir schon frühzeitig ab 2010 viele Initiativen für den Kunststoffstandort gesetzt. Für mich sind das Transfercenter für Kunststofftechnik, das Kunststofftechnik-Studium an der JKU und die LIT Factory als Pilotfabrik für die Transformation der Branche ganz wesentliche Erfolge, die ohne die Clusterarbeit nicht realisiert worden wären. Worauf wir auch stolz sein können: Wir haben mit viel Kulturarbeit die Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit der Unternehmen erhöht und wichtige Impulse bei der Qualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesetzt. Auch das Branchenimage konnten wir deutlich verbessern, obwohl es beim Kunststoff bzw. Plastik noch ein weiter Weg ist. Wir haben das Innovationspotenzial der Unternehmen gestärkt und so einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der Wirtschaftsstandorte und der Arbeitsplätze in beiden Bundesländern geleistet.
Miernicki: Durch die Zusammenarbeit von Ober- und Niederösterreich haben wir die leistungsfähigste Kunststoffregion Europas geschaffen. Damit können wir Zugkraft und Dynamik des Kunststoff-Clusters weiter verstärken und für diese Hightech-Branche den Unternehmen sehr wichtige Unterstützungsmaßnahmen anbieten – besonders im Themenfeld der Kreislaufwirtschaft. Die Leistung der Kunststoffbranch wird für die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaftsweise dringend benötigt. Gleichzeitig muss die Branche ihren eigenen Materialumgang zu geschlossenen Kreisläufen weiterentwickeln. Das geht am besten durch unternehmens- und grenzüberschreitende Kooperationen. Wir haben eine Reihe von aufeinander aufbauenden Projekten zu diesem Thema auf Schiene gebracht. Mit dem großen Ziel der Industrialisierung der Kreislaufwirtschaft, damit die heimische Kunststoffwirtschaft langfristig und nachhaltig gestärkt und zukunftsfit ist.
Pamminger: Wir sind der Trendscout der Kunststoffbranche. Eine besondere Stärke des Clusters ist es, Technologietrends frühzeitig zu erkennen, dazu entsprechendes Know-how bei den Unternehmen aufzubauen und Wege für mögliche Kooperationen aufzuzeigen. Der Wissens- und Erfahrungsaustausch im Cluster bringt den Betrieben klare Wettbewerbsvorteile. KC-Fachtagungen, branchenspezifische Schulungen und Workshops, Erfahrungsaustauschrunden oder exklusive Einblicke bei Partnerunternehmen sichern den Informationsvorsprung, auf den es ankommt.
Miernicki: Kooperationen über Unternehmensgrenzen hinweg schaffen nicht nur Mehrwert für die einzelnen Unternehmen, sie stärken auch das Bewusstsein dafür, dass man gemeinsam mehr erreichen kann als jeder für sich allein. Viele Clusterpartner stehen im Wettbewerb zueinander oder sind über Kunden-Lieferanten-Beziehungen miteinander verbunden. Aufgabe des Cluster-Teams ist es, Menschen aus unterschiedlichen Unternehmens- und Innovationskulturen zusammenzubringen und Synergien ausfindig zu machen.
Pamminger: Indem wir weiter an unserem „Kooperationsindex“ festhalten. Der ergibt sich aus den Faktoren hohe Verbindlichkeit, hohe Netzwerkqualität und dadurch die richtigen Partner finden sowie hohe Branchenkompetenz. Und immer wichtiger wird das Out-of-the-box-Denken – also über Branchengrenzen hinausdenken. Unerlässlich das beispielsweise beim Thema Kreislaufwirtschaft.
Miernicki: Wir erweitern kontinuierlich die Systemgrenzen, um alle Partner entlang der gesamten Wertschöpfungskette einzubeziehen, um Recyclingquoten und Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Wir verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz von der Rohstofferzeugung bis zur Wiederverwertung. Dies umfasst auch die Einbindung von Abfall- und Reststoffsammlern, Abfallverwertern, Recyclingunternehmen und der chemischen Industrie. Erfolgreiche Kooperationen basieren auf offenem und fairem Umgang sowie auf konkreten Projekten, die für alle Beteiligten Vorteile bringen. Dies erfordert eine ständige Gratwanderung zwischen Agilität und Kontinuität – agil bezüglich der sich ständig ändernden Rahmenbedingungen und kontinuierlich bei den Themen und Beziehungen, das schafft Vertrauen, die Basis für jede ernst gemeinte Kooperation.