24.04.2024
Kunststoffe sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Das Material kann unterschiedlichste Formen annehmen – von der hauchdünnen Folie über schützende Lebensmittelverpackungen, leichte Bauteile für die Automobilindustrie bis hin zu medizinischen Implantaten. Die Veranstaltung „Schule trifft Wirtschaft“ am 17. April im sterner training center in Wels begab sich auf die Spuren dieses viel diskutierten Werkstoffs und zeigte, wie nachhaltige Produkte aus Kunststoff entstehen. Dabei wurde auch wieder deutlich: Die Kunststoffbranche bietet zahlreiche spannende Aufgabenfelder und Entwicklungschancen.
„Schule trifft Wirtschaft“ demonstriert jedes Jahr aufs Neue, wie vielfältig die Kunststoffbranche unsere moderne Welt mitgestaltet, und ist deshalb für viele Lehrkräfte und Lehrlingsausbildner zu einem beliebten Treffpunkt geworden, wie KC-Projektmanager Johannes Poldlehner bestätigt:
„Wir freuen uns über das große Interesse an dieser Veranstaltung, bei der wir Lehrkräfte und Unternehmen zusammenbringen. Mit inspirierenden Fachvorträgen und einem Rundgang durch das sterner training center wurden die Vielseitigkeit von Kunststoff und der notwendige nachhaltige Umgang mit diesem Wertstoff eindrucksvoll gezeigt.“
Wo viel Kunststoff ist, entsteht auch viel Abfall. Dieses Denken hat über Jahrzehnte dazu geführt, dass Kunststoff ein schlechtes Image hat. Dabei arbeitet Österreichs Kunststoffindustrie zusammen mit der Wissenschaft und Forschung mit Nachdruck daran, eine Kunststoffkreislaufwirtschaft voranzutreiben. Hohe Recyclingraten, modernste Sortieranlagen, neue Technologien in Verbindung mit Künstlicher Intelligenz, Design for Recycling und zirkuläre Geschäftsmodelle treiben die Branche an. Doch nur mit ausreichend Kunststofftechniker:innen wird es auch gelingen, Kreislaufwirtschaft weiterzuentwickeln.
„Wir brauchen Fachkräfte, die mit den neuen Technologien und Produktionsweisen umgehen können und Ideen entwickeln, wie wir die Kunststoffbranche kreislauftauglich gestalten können“, betonte Erika Lottmann, Fachvertreterin der WKOÖ Kunststoffverarbeiter.
Die Expertin sieht die Vernetzung zwischen Schule und Wirtschaft als wesentlich, um junge Menschen für Kunststoffberufe zu begeistern und in ihnen die Motivation und das Bewusstsein zu wecken, als junge Fachkraft gemeinsam mit den Unternehmen Teil der Lösung zu werden. Ein Besuch auf www.kunststofflehre.at informiert, welche unterschiedlichen Kunststofflehrberufe es mittlerweile in Österreich gibt und wo interessierte Jugendliche einen Lehrbetrieb in ihrer Nähe finden können.
Ein Problem bei der Fachkräftesuche ist auch, dass immer noch sehr viele Mädchen an traditionellen Frauenberufen festhalten und technische Ausbildungen gar nicht auf dem Radar haben. Dabei fehlt jungen Frauen nicht die Eignung für technische Berufe, sondern oft nur der Zugang. Girls Days oder Schnuppertage, bei denen sie Technik live erleben können, ändern das mitunter ganz schnell.
„Um jungen Frauen den Weg in technische Berufe zu ebnen, ist es wichtig, frühzeitig Selbstvertrauen aufzubauen und durch weibliche Vorbilder zu stärken“, weiß Astrid Lindorfer, Ausbildnerin bei Sterner Werkzeugbau, aus Erfahrung.
Der Anteil weiblicher Lehrlinge beim Marchtrenker Unternehmen beträgt rund zehn Prozent.
Kunststofftechnik erfordert Fachwissen, Teamarbeit und eine Leidenschaft für neue Lösungen – Eigenschaften, die Frauen perfekt verkörpern.
„Deshalb darf Teilzeitarbeit auch kein Grund sein, warum Unternehmen beim Besetzen von Positionen männliche Arbeitskräfte bevorzugen. Es braucht mehr Vielfalt und Chancengleichheit, insbesondere in den Führungsetagen“, forderte Lindorfer.
Der Nachmittag bot den knapp 50 Teilnehmer:innen Einblicke quer durch die Branche – von der Spritzgießtechnologie bei Engel Austria bis zum 3D-Druck in der Medizintechnik. Ein innovatives Unternehmen – mit 54 Prozent Frauenanteil in Managementpositionen auch in Sachen Gender Diversity – ist der Babyartikelhersteller MAM Group.
„Wir treiben Nachhaltigkeit in unserem Unternehmen konsequent voran. Das beginnt bereits bei der Produktentwicklung“, berichtete Global Sustainability Managerin Alexandra Fellner-Rausch.
Seit 2023 setzt MAM bei seinen Schnullern und Babyflaschen Kunststoff ein, der auf bio-zirkuläre Rohstoffe rückführbar ist. Bio-zirkuläre Rohstoffe sind bereits genutzte Pflanzenöle, Abfälle und Reststoffe aus der Pflanzenölproduktion.
„Dadurch geben wir Abfällen und Reststoffen ein zweites Leben und setzen einen ersten, wesentlichen Schritt zur Entkoppelung von fossilen Rohstoffen“, erklärte Fellner-Rausch.
Ein Schwerpunkt bei „Schule trifft Wirtschaft“ war medizintechnischen Anwendungen gewidmet. Julia Maier vom Institute of Polymer Product Engineering der JKU Linz stellte das oberösterreichische Leitprojekt MEDUSA vor. Bei diesem Projekt wurde ein völlig neues Kapitel im 3D-Druck aufgeschlagen: Das menschliche Gehirn wird mit allen komplexen Strukturen, Gewebeeigenschaften und sensiblen Bereichen kopiert, um schwierige neurochirurgische Eingriffe am offenen Schädel im Vorfeld trainieren zu können und so die Fehlerquote im OP-Saal auf ein Minimum zu reduzieren. Das Gehirn eines Patienten wird dabei via 3D-Druck nicht nur nachgebildet, sondern auch in seinem Aufbau aus Hart-Weich-Komponenten perfekt für die chirurgische Simulation ausgebildet. Neurochirurg:innen können die künstlich hergestellten Patientenmodelle (Gehirn, Gehirnhäute, Blutgefäße inkl. Aneurysma, Schädel, Haut) haptisch ertasten und innere, sonst nicht sichtbare anatomische Strukturen als virtuell erzeugte Hologramme sehen.
„Erleichterung bei der Therapie chronisch Kranker verspricht der neu entwickelte pharmazeutische 3D-Drucker der HAGE3D GmbH“, berichtete der technische Direktor, Matthias Katschnig.
Menschen, die unter chronischen Beschwerden leiden, sind oftmals auf eine dauerhafte Medikation angewiesen. Implantierbare Arzneimittelabgabesysteme, kurz IDDS (insertable and implantable drug delivery systems), sind eine ressourcenschonende und risikoärmere Alternative. HAGE3D hat zusammen mit anderen Forschungspartnern eine neuartige, personalisierte IDDS entwickelt: Implantierte Kunststoffstäbchen aus diesem 3D-Drucker sollen künftig nicht nur Wirkstoffe in der richtigen Menge zur richtigen Zeit abgeben, sondern auch über einen genau bestimmten Zeitraum vom Körper abgebaut und so rückstandlos ausgeschieden werden. Dieser Drucker setzt nicht nur neue Maßstäbe, indem er anspruchsvolle Materialien mit einer unglaublich hohen Auflösung verarbeitet, sondern ist auch so konzipiert, dass er die strengen Sicherheitsstandards der Pharmaindustrie erfüllt.
Im Anschluss an die Vortragsreihe lud Leopold Pühringer, Entwicklungsleiter bei Starlim Spritzguss, zur Betriebsbesichtigung ein, bei der die Teilnehmer:innen im sterner training center live erleben konnten, wie moderne Kunststoffprodukte entstehen.
„Schule trifft Wirtschaft“ ist eine Kooperationsveranstaltung der Wirtschaftskammer Oberösterreich, der Fachvertretung der Kunststoffverarbeiter in OÖ und des Kunststoff-Clusters. Sie bringt Unternehmen aus der Kunststoffbranche, Lehrlingsausbildner:innen und Pädagog:innen aus den unterschiedlichen Bildungsstufen zusammen. Dabei werden Karriere- und Ausbildungsmöglichkeiten in der Kunststoffbranche vorgestellt und es wird gezeigt, dass sich hinter dem negativ behafteten Wort „Plastik“ zahlreiche spannende Themen und Anwendungsbereiche verstecken.
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