04.03.2020
Medizintechnik, Digitalisierung, Elektromobilität und Elektronik im Alltag: Kunststoffe sind aus unserer Welt nicht mehr wegzudenken. Die Anforderungen an die Materialien werden höher und spezieller. Außerdem rücken die Themen Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft immer mehr in den Fokus. Die Fachtagung „New materials for new markets“ des Kunststoff-Clusters beschäftigte sich am 26. Februar in Lenzing umfassend mit den Zukunftstrends in der Materialentwicklung.
Für Marieluise Lang, Bereichsleiterin Compoundieren und Extrudieren am Süddeutschen SKZ - Das Kunststoffzentrum, bestimmen zwei Trends die Zukunft: Biopolymere und Recycling. „Biopolymere sind für Verpackungen aus Monoschichten stark nachgefragt, müssen jedoch entsprechende Barriereeigenschaften aufweisen, die nur durch spezielle Beschichtungen und gezielte Additivierung verbessert werden können“, sagte Lang. Ein Trend geht dabei klar zu Materialformulierungen und Rezepturen, die zu 100 Prozent biobasiert und biologisch abbaubar sind, also Bioadditive aus nachwachsenden Rohstoffen enthalten. Dabei sind angepasste Prozesse und zerstörungsfreie, schonende Einarbeitung ein wichtiges Wissenschaftsfeld am SKZ. „Aktuell forschen wir am Einsatz von recycelten Fasern aus Thermosets (Glas oder Carbon) in Compound sowie an der Funktionalisierung bei schmierstoffgefüllten Mikrokapseln für tribologische Anwendungen oder Fluoreszenzmarkern für die Bauteilrückverfolgung“, schilderte Lang.
Die Zukunft liegt auch in der Entwicklung neuer Verfahren und Rezepturen für höherwertige Rezyklate aus bisher nicht oder nur spärlich verwerteten Fraktionen der Abfallsortierung sowie für bisher nicht verwertete Stoffströme wie z. B. Kleidung und Accessoires aus oder mit Kunstfasern. Das Erreichen regulatorischer Vorgaben in den Bereichen Food und Medical ist ebenfalls eine Herausforderung der kommenden Jahre. Um die Sortierprozesse im Recycling zu verbessern und beispielsweise auch schwarze Bauteile oder nicht eindeutig trennbare Materialien erfassen zu können, arbeiten die Forscher an neuen Additiven bzw. Markersystemen. „Design for Recycling ist hier das Stichwort“, betonte Lang, „was so viel bedeutet wie schon im Entwicklungsprozess auf weniger Materialvariation zu achten, um aufwändiges Recycling und aufwändige Materialentwicklung obsolet zu machen.“
Eine Welt ohne Kunststoffe ist undenkbar. „Sie sind Treiber für technischen Fortschritt, Wohlstand und Gesundheit der Gesellschaft“, ist Christopher Schirwitz, Venture Manager für Polycarbonate bei der Covestro AG, überzeugt. In den kommenden Jahren gilt es seiner Meinung nach, Kunststoffe noch klimaschonender zu produzieren, die richtigen Materialien effizient an der richtigen Stelle einzusetzen und mit aller Konsequenz zum Aufbau einer Kreislaufwirtschaft beizutragen. „Die wachsende Weltbevölkerung wird für einen steigenden Bedarf an Materialien sorgen, während von den Materialien selbst eine gleichbleibende bis höhere Leistungsfähigkeit erwartet wird“, sagte der Chemiker. Die Herstellung und der Einsatz dieser Materialien müssen dabei im Einklang mit den UN-Nachhaltigkeitszielen erfolgen. Einen anhaltenden Trend sieht Schirwitz in der zunehmenden Technisierung und Digitalisierung der Gesellschaft.
Materialien aus dem Bereich Elektronik halten zunehmend Einzug in Fortbewegungsmittel, Infrastruktur und technische Geräte. Innovationen identifiziert der Experte in neuartigen Design-Konzepten, die durch Integration von Funktionen ins Material bei gleichzeitig immer höherer Leistungsfähigkeit und effizienterer Produktion mit neuen, sehr speziellen Fertigungsmethoden völlig neue Anforderungen an das Material selbst stellen. Besonders spannend betrachtet er mit seinem Unternehmen die Materialinnovationen in den Bereichen Mobilität, Bau, Elektro/Elektronik und Gesundheit. Entscheidend wird sein, dass sich in der Materialentwicklung sehr spezielle Fachgebiete noch mehr miteinander verbinden. „Die richtigen Leute müssen an einen Tisch, um Innovationen auf den Weg zu bringen“, betonte Schirwitz.
Auch Günther Maier von der Materials Center Leoben Forschung GmbH sieht die Miniaturisierung und die Funktionsintegration in der Mikroelektronik als Herausforderung und Zukunftstrend. Maier leitet die Abteilung Materialien für die Mikroelektronik und weiß: „Durch die Miniaturisierung wirken immer größere Belastungen auf die Materialien, wodurch Inhomogenität, Spannungen und feine Defekte entstehen.“ Lote, dünne defektfreie Schichten, hoch temperaturleitfähige Materialien mit angepassten Ausdehnungskoeffizienten hält er für nur einige Bausteine der künftigen Elektronik.
„Immer mehr Komponenten oder Sensoren werden auf kleinem Raum verbaut, um Platz zu sparen“, weiß der Forscher. In einen einzigen Chip werden mehrere Funktionen integriert. Dafür benötigt es unterschiedliche Materialien, was schon bei der Herstellung zu thermischen Belastungen führt. „Eine zentrale Herausforderung ist daher das Zusammenspiel zwischen Funktion, Materialienmix und Design“, betonte Maier. Simulationen, Analysen und statistische Methoden werden in der Materialforschung daher optimal verknüpft. Durch die Simulationen können am Weg vom Atom zum Produkt – beispielsweise in der Sensorentwicklung – schon die finalen Anforderungen und der Prozessweg mitberücksichtigen werden. Fehlentwicklungen erkennt man daher schon sehr früh im Forschungsprozess und kann sie korrigieren.
Eine aktuelle Herausforderung für die Technologie des 3D-Drucks ist die Entwicklung von Materialien, die eine Produktion funktionaler Bauteile ermöglichen. „Hier sind maßgeschneiderte Materialien je nach Prozessmethode und Anwendungsgebiet gefragt“, sagte Alexander Harrer, Produktmanager für High Performance Polymers der Firma Biesterfeld Interowa GmbH & Co KG. Der Cubicure GmbH ist, wie Markus Pfaffinger präsentierte, mit der Entwicklung eines flammgeschützten Photopolymers ein großer Schritt in der Materialentwicklung für die additive Fertigung gelungen. In Kombination mit der entwickelten Hot Lithography Technologie können mit diesem Werkstoff beispielsweise Ersatzteile für die Mobilitätsbranche produziert werden.
Die Rückverfolgbarkeit von Kunststoffteilen ist ein Thema, das zunehmend an Bedeutung gewinnt. Mark Hannah von der Gabriel-Chemie GmbH, einer der führenden Masterbatch-Produzenten Europas, präsentierte die „Taggant Technology“. Mit Hilfe spezieller anorganischer Additive und einer eigens dafür entwickelten Sensortechnologie können Informationen über Material oder Herkunft mit dem Produkt in Verbindung gebracht und für das Sortieren oder Rückverfolgen von Bauteilen verwendet werden.
Die Herausforderungen bei der Materialauswahl für den Einsatz im medizinischen und pharmazeutischen Bereich und die zugrundeliegenden Richtlinien veranschaulicht Sandra Vontz von der Ultrapolymers Group mit vielen praktischen Beispielen. Stefan Disch, Marketing- und Salesmanager bei Polyplastics Europe, stellte mit dem Cyclische Olefin-Copolymer TOPAS® einen jungen Kunststoff mit breitem Anwendungsspektrum vor. Der erst 2000 präsentierte Werkstoff wird unter anderem bereits in der Medizintechnik eingesetzt. Das transparente Material mit vorteilhaften Verarbeitungseigenschaften hat großes Potenzial für weitere Anwendungsgebiete abseits von optischen Linsen, Einwegspritzen und Blisterverpackungen.
Die Komplexität zu verringern und somit die Materialentwicklung zu vereinfachen, hat sich das Projekt „Polykum DigiLab“, eine Initiative des Fraunhofer IMWS und der Polykum e.V., zum Ziel gesetzt. Patrick Hirsch, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut, zeigte anhand der Entwicklung eines Biopolymers auf, welche Funktionen im Rahmen dieser App zur Verfügung stehen sollen und wie sie genutzt werden können. Das Projekt steht erst am Anfang, verspricht jedoch bereits spannende Ergebnisse.
„Die rund 40 Teilnehmer waren beindruckt von den innovativen Ideen und Entwicklungen rund um das Material Kunststoff“, die Stimmung zusammen. „In den Pausen informierten sich die etwa 40 Teilnehmer über neue Produkte und Entwicklungen an den Ausstellertischen im Foyer. Darüber hinaus blieb noch Zeit, sich mit Branchenkolleginnen und Kollegen auszutauschen“, fasste Laura Lidauer vom Kunststoff-Cluster zusammen.
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