Polarisierend aber alternativlos

Beim OÖ Zukunftsforum stellten sich Experten dem Thema Kunststoff aus verschiedenen Perspektiven

Reinhold W. Lang vom Institute of Polymeric Materials and Testing (IPMT) an der JKU beleuchtete in seinem Vortrag sowohl den gesellschaftlichen als auch den politischen Kontext, in dem die Diskussion rund um Kunststoff stattfindet © Roland Pelzl / cityfoto
Reinhold W. Lang vom Institute of Polymeric Materials and Testing (IPMT) an der JKU beleuchtete in seinem Vortrag sowohl den gesellschaftlichen als auch den politischen Kontext, in dem die Diskussion rund um Kunststoff stattfindet © Roland Pelzl / cityfoto
Andreas Leitner, Head of New Business Development bei Borealis, zeigte in seinem Vortrag auf, wie Kunststoff in neuen Märkten eingesetzt werden und Wachstum generieren kann © Roland Pelzl / cityfoto
Andreas Leitner, Head of New Business Development bei Borealis, zeigte in seinem Vortrag auf, wie Kunststoff in neuen Märkten eingesetzt werden und Wachstum generieren kann © Roland Pelzl / cityfoto
Stefan P. Schleicher, Wegener Center for Climate Change an der Universität Graz © Roland Pelzl / cityfoto
Stefan P. Schleicher, Wegener Center for Climate Change an der Universität Graz © Roland Pelzl / cityfoto

07.10.2019

Kunststoffe spielen in fast allen Lebensbereichen eine wichtige Rolle und haben trotzdem mit einem Imageproblem zu kämpfen. Berge von Kunststoffabfällen auf Deponien und in den Ozeanen machen die Entsorgung zu einem zentralen Thema. Eine generelle Verteufelung von Kunststoff ist aus Sicht von Experten nicht gerechtfertigt. Kooperationen mit der Abfallwirtschaft sind ein Gebot der Stunde.

300 Unternehmen verdienen in Oberösterreich ihr Geld mit Kunststoff. Bei der Session „Kunststoff in Diskussion“ stellten sich Experten aus Forschung und Wirtschaft dem Thema Kunststoff aus verschiedenen Perspektiven. „Es braucht Umsetzungsbeispiele von Kreislaufwirtschaft, die so gut validiert und durchgeführt sind, dass sie am Ende des Tages skalierbar sind,“ betont Wolfgang Bohmayr, Cluster-Manager im Kunststoff-Cluster. Kunststoff muss künftig neu gedacht werden und dieser neue Denk-Ansatz muss in Kooperationen mit der Abfallwirtschaft münden. Die Referenten stimmen überein: Kunststoff überall durch andere Werkstoffe zu ersetzen, wird keine Lösung sein. Im Fokus steht die Rückführung des Materials in den Kreislauf, um Plastikmüll zu verringern. Dass Kunststoff zahlreiche Vorteile bringt, zeigten die Speaker mit vielen Beispielen auf.

Vom Erfolgsprodukt zum Problemstoff

Die Erfolgsgeschichte von Kunststoff zieht sich durch alle Anwendungsbereiche. o.Univ.-Prof. DI Dr.mont. Reinhold W. Lang vom Institute of Polymeric Materials and Testing (IPMT) an der JKU beleuchtete in seinem Vortrag sowohl den gesellschaftlichen als auch den politischen Kontext, in dem die Diskussion rund um Kunststoff stattfindet. Im vergangenen Jahrhundert wurde das Volumen der Stahlproduktion weltweit von Kunststoffen überschritten, seither verzeichnet der Bereich kontinuierliche hohe Wachstumsraten. Wenn man Kunststoffe in dominierenden Märkten durch die nächstbeste ökologische Werkstoffklasse ersetzen würde, würde sich die Gesamtmasse vervierfachen.

„Die Abkehr von Kunststoff hat wesentliche Auswirkungen auf den Transport und der Energiebedarf würde um 50 Prozent steigen“, Dr Reinhold W. Lang.

Energie und Wasser sind Basisressourcen, die sich durch alle Sparten der Industrie ziehen, daher müsse vor allem über Energie- und Wassersysteme künftig nachgedacht werden. Lang erläuterte auch einige zivilgesellschaftliche Bewegungen die im letzten Jahr hochgepoppt sind und ein Umdenken veranschaulichen: Allen voran Fridays4Future, durch deren Bemühungen mittlerweile der Klimanotstand vom österreichischen Parlament anerkannt wurde. „Wer Bewegungen wie Fridays4Future nur abtut und meint, dass Jugendliche hier nur die Schule schwänzen, ist so oberflächlich, dass man sich nur wundern kann“ meint Lang. „Für das Klima bringe das Verbot des Plastiksackerl gar nichts. Es hält davon ab, die wirklich wichtigen Dinge anzugehen“, betont der Experte. Mit dem #forumFUTURE – Kompetenzzentrum für nachhaltige Entwicklung in Politik, Wirtschaft & Gesellschaft – fordert Lang gemeinsam mit weiteren österreichischen Wissenschaftlern, darunter auch Univ. Prof. Stefan P. Schleicher, mehr Sachkompetenz in der politischen Gestaltung und ein Ende der Schein- und Show-Politik.

Wer ist der Umweltsünder?

Der Großteil der Ökobilanz wird durch die Anwendung bestimmt und nicht durch den Werkstoff. Recycling ist nicht die große Lösung, die liegt bei der Transformation des Energiesystems. Eine künftige nachhaltige Kunststoff-Kreislaufwirtschaft muss neben Öko-Effizienz-Kriterien die bereits stattfindende Transformation des Energiesystems hin zu erneuerbaren Energien berücksichtigen. Die Energietransformation wird zusammen mit neuen Optionen für zirkuläre Kohlenstoff-Technologien (CCU) zum Game Changer für eine vollständige und nachhaltige Kunststoff-Kreislaufwirtschaft. Um die Klimaziele bis 2050 zu erreichen, müssten sich laut Lang ab sofort 400.000 Menschen täglich an einem geordneten Abfallsystem beteiligen.

Gar nichts im grünen Bereich

„Wir kommen drauf, dass uns wichtige Sensoren für die Messung relevanter Vorgänge in der Wirtschaft fehlen“, meint Univ. Prof. Stefan P. Schleicher vom Wegener Center for Climate Change an der Universität Graz. Die Sustainable Development Goals, 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung und seit 2015 Fundament der globalen Zusammenarbeit, sollten laut Schleicher auch Fundament für unsere Handlungen sein. Sie finden aber vor allem in Österreich nicht genug Bedeutung in der Politik. Die Inanspruchnahme der natürlichen Ressourcen und die Ausschöpfung oder Überschreitung der ökologischen Belastbarkeitsgrenzen beschleunigt sich weiter. Laut Schleicher müssen wir lernen, relevantere Fragen zu stellen. Eine Änderung des Mindsets wäre nötig: Anstatt sich zu fragen, woher die Energie kommt, sei es wichtiger, wofür wir die Energie brauchen. Potenziale gibt es vor allem noch in der Baubranche. Als Best Practice Beispiel nennt Schleicher beispielsweise das Quartier Suurstoffi in der Schweiz, ein 16 Hektar großes Geländer das auf größtmögliche Nachhaltigkeit setzt. Das „Zero Emissions“-Energiesystem des Areals Suurstoffi setzt auf Anlagen für Solare Elektrizität und Wärme, die in die Gebäude integriert sind, ein Anergie-Netz bei dem ein Nieder-Temperatur-Wärmenetz vernetzt mit Wärmepumpen und Wärmetauschern Abwärme rezykliert und auf einen Erd-Speicher. Laut Schleicher müsste Österreich seine Emissionen radikal reduzieren, um die Pariser Ziele bis 2050 zu erreichen.

Ohne Kreislaufwirtschaft läuft nichts mehr

Dipl.-Ing. Dr. Andreas Leitner, Head of New Business Development bei Borealis, zeiget in seinem Vortrag auf, wie Kunststoff in neuen Märkten eingesetzt werden und Wachstum generieren kann. Borealis gilt als Game Changer in der Rohstoffindustrie, weil Kreislaufwirtschaft als Auftrag verstanden wird. Die Kreislaufwirtschaft hat mit Alfred Stern, der 2018 zum Vorstandsvorsitzenden von Borealis ernannt wurde, hohes Gewicht erhalten. Wenn es keine Lösung gibt, um ein Produkt im Kreislauf wiederzuverwenden, ist das für Borealis ein Ausschusskriterium und das Projekt wird beendet. Laut Leitner ist Kunststoff trotz aller Kritik und Diskussion ein Innovationsmotor: „ja natürlich ist es das Material von heute“, führt er aus. Kunststoffe erlauben Funktionalitäten, die mit keinem anderen Werkstoff möglich sind. Einsparungen der Emissionen in der Automobilindustrie und längere Lagerungsmöglichkeiten von Lebensmittel sind nur zwei Vorteile von Kunststoff. Auch im Energietransport und bei Rohren für Frisch- und Abwasser spielt er eine entscheidende Rolle. Durch den Einsatz von Kunststoff bei einem Nachhaltigkeits-Engagement in Indonesien konnte Borealis die Wasserverschmutzung bedeutend reduzieren. Ein weiteres Projekt verschaffte einem Krankenhaus in Myanmar dank Solaranlage eine durchgehende Stromversorgung. „Das Problem ist nicht der Kunststoff an sich“, betonte Leitner wie auch schon seine Vorredner zuvor, „das Problem ist der Plastikmüll, der unsere Umwelt verschmutzt“. Umso wichtiger sei es, Kreislaufwirtschaft zu etablieren. Kunststoffmaterialien können nachhaltige Lösungen vorantreiben, wovon die Menschen, der Planet aber auch die Unternehmen in der Kunststoffbranche profitieren können.

Guter Kunststoff oder böses Plastik

Auch Dr. Christoph Burgstaller vom TCKT (Transfer Center für Kunststofftechnik) erläuterte, dass das eigentliche Problem, das wir mit Kunststoff haben, ein Müllproblem ist. Kunststoff an sich bringt schließlich zahlreiche Vorteile: Als Verpackungsmaterial schützt er Güter die mit viel Energie produziert wurden und im Mobilitätsbereich verschafft er uns leichte Materialien, um Energie in der Nutzungsphase einzusparen. „Man muss das Gesamtbild betrachten, die Nachhaltigkeit hängt immer von der Anwendung ab“, betont Burgstaller. Anhand des Best Practice Projekts CIRCUMAT schilderte er, wie oberösterreichische Leitbetriebe wie Borealis, Erema, Greiner, aber auch LAVU Innplast auf der Sammel- und Recyclingseite zum Schließen von Kreisläufen entlang der gesamten Wertschöpfungskette kooperieren. Durch die Verbindung des Know-hows entlang des gesamten Kunststoffkreislaufes konnte ein Recycling-Öl entwickelt werden. Für die Diskussion über Kunststoff schlussfolgert Burgstaller, dass es Ziel sein muss, echte Kreisläufe herzustellen. Dazu benötigt es Zeit, um die Änderungen durchzusetzen und auch ein Design für Recycling.

In der Session wurde vielfach thematisiert, dass nicht der Kunststoff an sich das Problem ist, sondern der Müll, der unsere Umwelt belastet. Doch wie bekommen wir den Kunststoff wieder aus unserer Umwelt? Laut Lang gilt es zu differenzieren, ob es sich um Mikro- oder Makroplastik handelt. Im Bereich der Mikroplastik sieht er keine Möglichkeit, diese wieder herauszufiltern. „Wir werden uns in Zukunft ansehen müssen, wie sinnvoll Produkte sind, die Mikroplastik enthalten. Wenn sie nichts zur Steigerung unsere Lebensqualität beitragen, sollten wir darauf verzichten.“ Zur Frage ob biogene Stoffe als Ersatzprodukt für Kunststoff in Frage kommen, ist seine Antwort deutlich: „Biogene Stoffe werden sich eigene Nutzungsfelder aufbauen, aber nicht mit Kunststoff in Wettbewerb treten.“

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