08.10.2021
„Nachhaltigkeit“ ist in aller Munde. Doch was genau bedeuten nachhaltiger bzw. verantwortungsvoller Konsum und Produktion in der Lebensmittel- und Kunststoffbranche? Was haben Kunststoffe mit Nachhaltigkeit zu tun? Und wie können Lebensmittel adäquat vor Verderb geschützt werden? Diesen Fragen ging die Kooperationsveranstaltung von Kunststoff-Cluster, Lebensmittel-Cluster und Ars Electronica Center „There Is No Planet B“ am 5. Oktober 2021 im Ars Electronica Center nach.
„Zentrales Anliegen der Veranstaltung war es, einen Austausch zwischen möglichst vielen verschiedenen Menschen zu diesem hochaktuellen und wichtigen Thema zu ermöglichen. Es war wunderbar, mitanzusehen, dass nicht nur Fachverteter*innen unter sich diskutiert haben, sondern auch junge Menschen die Gelegenheit genutzt haben, Fragen an das Podium zu stellen und die Diskussion nach dem offiziellen Ende der Veranstaltung weiterzuführen“, zieht Timna Reisenberger, die die Veranstaltung moderierte und als Projektmanagerin im Kunststoff-Cluster tätig ist, eine positive Bilanz.
In seiner Keynote sprach Reinhold Lang, Universitätsprofessor und Institutsleiter des Institute of Polymeric Materials and Testing an der Johannes Kepler Universität Linz, von der für viele unbequemen Wahrheit: „Die schnellste und effektivste Lösung für eine nachhaltige Entwicklung und um die Gefahren der Klimakrise zu reduzieren, ist der Verzicht auf Fleisch oder zumindest eine drastischen Reduktion des Fleischkonsums. Das ist wissenschaftlich bestens belegt.“ Eine Plastikverpackung verlängert die Haltbarkeit von Fleisch und spart zehnmal so viel CO2 ein, als für die Herstellung der Verpackung benötigt wird. Alle Werkstoffklassen haben für ihn im Verpackungsbereich ihre Berechtigung: „Anstatt so viel über die Verpackung zu diskutieren, sollten wir mehr auf die Nutzung des Packguts schauen.“
Kunststoffabfälle sind für Lang nur der sichtbare Ausdruck eines mittlerweile dysfunktionalen Wirtschaftssystems, wenngleich nicht sichtbare Kohlenstoff-Abfälle um den Faktor 250 (!) größer sind als sichtbare Abfälle.
Klimakrise, Umweltproblem, Biodiversitätsverlust aber auch Gerechtigkeit sind Kernelemente der Nachhaltigkeitsagenda der United Nations und machen einen tiefgreifenden Umbruch in Wirtschaft und Gesellschaft notwendig. Eine Systemtransformation ist nur möglich, wenn wir die richtigen Hebel (sogenannte Sensitive Intervention Points) bewegen. Die zentrale Frage: Was können wir aus Sicht der Kunststoffe tun, um eine umfangreiche industrielle Transformation herbeizuführen? Langs Antwort: „Ich bin überzeugt: Kunststoffe sind jene Werkstoffgruppe mit einer Technologie, die das am besten kann. Der Schlüssel liegt in der Zirkularität der Kohlenstoffströme. Es gilt, die Zirkularität des Kohlenstoffs in der Biosphäre in die Technosphäre überzuführen. Unsere Vision ist ein neues All-zirkuläres-Carbon-Management, das von Kunstoffen getrieben wird.“
Michael Krainz ist Experte für Verpackung und Lebensmittel am OFI - Österreichisches Forschungs- und Prüfinstitut. Auch er brach eine Lanze für Lebensmittelverpackungen aus Kunststoff: „Produktschutz ist die primäre Funktion der Verpackung. Daneben hat sie zahlreiche sekundäre Funktionen wie Information, Marketing und Haltbarkeit. Nur rund drei bis dreieinhalb Prozent des CO2-Fußabdrucks bei Lebensmitteln stammt von der Verpackung.“ Krainz wies auch auf die unglaublichen Mengen an Lebensmittelmüll hin: Mehr als 100 Mio. Tonnen Lebensmittel landen jährlich in Europa im Müll, ein Drittel der Lebensmittel geht entlang der Wertschöpfungskette verloren, im Haushalt fallen die allermeisten Lebensmittelabfälle an.
Seiner Erfahrung nach liegt unser Bauchgefühl gerade bei der Umweltfreundlichkeit von Lebensmittelverpackungen oft falsch: „Ein Großteil der Menschen glaubt, dass Kartonverpackungen besser für die Umwelt sind. Bei Eiern beispielweise schneiden in puncto CO2-Fußabdruck aber Kunststoffverpackungen aus rPet deutlich besser ab als Verpackungen aus Altpapier. Auch bei der Verpackung von Minigurken ist eine Plastiktasse aus ökologischer Sicht besser als eine Kartontasse, da Karton Schimmelwachstum begünstigt.“
Bei der abschließenden Podiumsdiskussion kam auch die Problematik von biobasierten Kunststoffen zur Sprache: „Wir haben uns lange mit PLA, einem industriell kompostierbaren Kunststoff, beschäftigt, haben ihn aber nicht zum Fliegen gebracht“, bedauerte Stephan Laske von Greiner Packaging. Reinhold Lang betonte: „Ich bin ein großer Skeptiker von Biokunststoffen. Wir werden bei Biokunststoffen schnell in Flächenwettbewerbe aller Art kommen und in Biodiversitätskrisen. Sie liefern keine besseren Footprints als konventionelle Kunststoffe.“ Laske verwies darauf, dass seinem Unternehmen der ökoeffiziente Umgang mit Rohstoffen wichtig sei. Oberstes Ziel müsse die Ökobilanz sein: „Wir bringen nichts auf den Markt, was zwar recyclingfähig ist aber die Ökobilanz wieder verschlechtert.“
Die DELSCI GmbH aus Traun entwickelt Lebensmittelverpackungen aus Papier. Unternehmensvertreter Herwig Kirchberger appellierte am Podium: „Wenn wir radikale Innovationen wollen, müssen wir endlich einmal unsere Sicherheitspolster reduzieren. Jahrelang wurde völlig ‚überverpackt‘.“ Im Zusammenhang mit dem Thema Lebensmittelsicherheit kamen auch Mindesthaltbarkeitsdatum und Konsument*innenverhalten zur Sprache. Stephan Laske von Greiner Packaging wies eindringlich darauf hin: „Mindesthaltbar bis heißt nicht tödlich ab.“ Josef Strutz-Winkler vom Winkler Markt schilderte: „Wir stellen fest, dass Konsumenten Lebensmittel, die schon nahe am Mindesthaltbarkeitsdatum sind, nicht mehr kaufen. Wir setzen bewusst nicht auf Aktionen wie 1+1 gratis. Konsumenten kaufen oft zu viel. Sie haben auch selbst viel in der Hand.“
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