26.06.2024
Mithilfe von Virtual und Augmented Reality (VR/AR) können nicht nur Menschen zuhause in unbekannte Welten eintauchen, diese Technologien werden auch für Unternehmen immer mehr zum Thema. Im Projekt „IMPACT-sXR“ haben zahlreiche Industrieunternehmen gemeinsam mit Forschungspartnern ausgelotet, wie VR und AR betriebliche Abläufe unterstützen können.
Der Standort der Lenze-Gruppe im oberösterreichischen Asten ist auf die Produktion von Getriebemotoren und Kleingetrieben für verschiedenste Branchen spezialisiert, mit einem hohen Anteil an Einzelfertigung.
„Früher hatten wir Einzelarbeitsplätze, an denen ein Mitarbeiter den gesamten Prozess bis zum fertigen Getriebe durchlief“, erzählt Werksleiter Alfred Ritirc. „Mangels Arbeitskräften mit umfassenden Fachkenntnissen stellten wir daher auf Linienproduktion um: Jeder Mitarbeiter spezialisiert sich nur auf seine Prozessschritte.“
Um alle möglichst effizient an ihre Aufgaben heranzuführen, wurde in einem Vorgängerprojekt ein Werkzeug entwickelt, das den Montageprozess Schritt für Schritt in einer virtuellen Umgebung nachbildet.
„So kann ein Mitarbeiter die Handgriffe ausprobieren, bevor er an der Linie steht, wo jeder Fehler starke Auswirkungen hat. Und die Erfahrungen damit waren sehr gut“, sagt Ritiric
Für den neuen Anwendungsfall hat Lenze diese VR-Umgebung der Montage für Mitarbeiter aus der Teilelogistik zugeschnitten. In der Montage sollen die Leute keine Zeit damit verbringen, die richtigen Teile zu suchen. Daher erhalten sie Support von den Arbeitskräften aus der Logistik: Diese kommissionieren die Teile, füllen sie in einen Behälter und bringen sie an die Linie. Damit die Logistikmitarbeiter den Einsatz der Teile im Montageprozess besser abschätzen können, wurde der Montageablauf auf die wichtigsten Komponenten reduziert und eine vereinfachte Version in die virtuelle Welt übersetzt. Ein wesentliches Learning aus dem Use Case:
„Ein VR-Training ist kein kompletter Ersatz für das Lernen in der physischen Welt. Aber der Lernprozess geht schneller vor sich, wenn man zuerst digital herumprobieren kann“, fasst Patrick Teichgräber von Lenze zusammen.
Auch beim Use Case von RHI Magnesita ging es um Trainingsaufgaben. Das Unternehmen ist ein weltweit führender Hersteller von Feuerfestmaterialien. Der Einsatz der Servicemitarbeiter im Hochofen oder Zementwerk ist nicht ungefährlich. Sie müssen abgenütztes Feuerfestmaterial herausschlagen und neues anbringen, oft in größerer Höhe. Regelmäßig müssen die Servicemitarbeiter daher an Sicherheitsschulungen teilnehmen. Ohne eine erste Schulung in Präsenz wird man zwar auch in Zukunft nicht auskommen, doch das Unternehmen testet, wie wiederkehrender Trainingsbedarf durch ein virtuelles Tool abgewickelt werden kann. Ein Vorteil der VR:
„Hier können auch gefährliche Situationen simuliert werden, denen Mitarbeiter bei einer realen Schulung gar nicht aussetzt werden können“, erklärt Barbara Steiner von RHI Magnesita.
Im Projekt hatten die Forschungspartner auch ausreichend Freiraum, um ihre wissenschaftlichen Fragestellungen zu verfolgen. Im Fall der FH St. Pölten betraf dies vor allem Fragen des „Spatial Computing“:
„Um VR- und AR-Tools umzusetzen, muss man in Echtzeit 3D-Information in eine reale oder virtuelle Umgebung integrieren können“, beschreibt Thomas Moser von der FH St. Pölten die damit verbundene Herausforderung für den Informatiker.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass in industriell relevanten Anwendungsfällen vielfach mit Endgeräten wie Mobiltelefonen oder Tablets gearbeitet wird. Nicht immer reicht deren Präzision aus:
„Es ist wichtig, ein Endgerät auszuwählen, das die bestehenden Anforderungen erfüllt“, sagt Moser.
An der FH in Steyr wurde intensiv über die adäquate Form der VR-Umsetzung von Schulungen diskutiert.
„Eine unserer zentralen Forschungsfragen war, wie realistisch Trainings sein müssen, damit der Lerneffekt maximiert wird“, erklärt Josef Wolfartsberger von der FH Steyr.
In einem Use Case wurden deshalb zwei Varianten einer virtuellen Trainingsumgebung erstellt: eine, bei der die Interaktion mit einem Werkzeug so wirklichkeitsgetreu wie möglich dargestellt wurde, eine andere, bei der alles stark vereinfacht war. Interessantes Ergebnis: Es gab keinen signifikanten Unterschied im Lerneffekt. Gespräche mit den Nutzern zeigten aber, dass die realistische Variante unterhaltsamer war und daher zur Motivation beitragen kann, sie überhaupt zu nutzen.
Motivation und Akzeptanz waren auch wichtige Aspekte der Forschungsarbeit an der FH Joanneum in Kapfenberg.
„Wir haben gemeinsam mit den Unternehmen Management-Instrumente entwickelt, die sie für die Strategieentwicklung, das Change Management und zur Beurteilung der Nachhaltigkeit der eingesetzten Technologien verwenden können“, sagt Forscherin Sabrina Sorko.
Um Nachhaltigkeit ging es auch im ökologischen Sinne: Der Einsatz von Mixed Reality kann direkt (z. B. weil weniger Autokilometer anfallen) und indirekt zu weniger CO2-Emissionen beitragen, aber auch zu höherem Stromverbrauch führen. Wichtig sei laut Sorko, dass die Unternehmen einen Soll-Ist-Vergleich anstellen und analysieren, wie sich das Verhältnis durch den Einsatz der neuen Technologien verschiebt.
Neben dem fachlichen Aspekt schätzten die Teilnehmer auch den informellen Austausch mit Vertretern anderer Unternehmen.
„Die Unternehmenspartner stellten einen guten Mix aus neuen Firmen und solchen, die einander schon kennen, dar“, sagt ecoplus-Projektmanager Thomas Holzmann, der das Projekt seitens des Mechatronik-Clusters koordinierte.
IMPACT-sXR (Industrial Manufacturing Process And Collaboration Tools for Sustainable XR) widmete sich der systematischen Evaluierung von XR-Technologien (Augmented Reality, Virtual Reality, Mixed Reality) für den industriellen Einsatz.
Förderschiene: FFG Collective Research
Projektlaufzeit: 09/2021-12/2023
Koordination: ecoplus, Mechatronik-Cluster
Forschungspartner:
Unternehmenspartner: