Von der Digitalisierung zu Datenmärkten

Gastbeitrag von DI Dr. Robert Stubenrauch

© iStock/chinaface
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27.11.2019

Industrie 4.0 ist seit Jahren in aller Munde und meint im Wesentlichen die Digitalisierung der Industrie. Primäres Ziel ist es dabei, industrielle Prozesse zu optimieren, die Qualität der Produkte zu verbessern und generell durch eine erhöhten Automationsgrad eine Effizienzsteigerung zu erreichen. Weiters verspricht die Digitalisierung eine flexiblere Reaktion auf individuelle Kundenwünsche sowie auf die Absatzmärkte generell.

Unterschiedliche Innovationszyklen: physisch vs. digital

Die physischen Komponenten der maschinellen Anlagen haben einen wesentlich längeren Lebens- und somit Innovations­zyklus als die immaterielle Software. Während eine maschinelle Um- oder Aufrüstung immer aufwändig ist, kann Software jederzeit einfach über Updates geändert werden, die immer öfter auch aus der Cloud bezogen werden können. Die Koppelung der physischen Maschinenwelt mit der immateriellen Softwarewelt erfolgt über Sensorik und sogenannte Edge-Komponenten. Das sind kleine „smarte“ Einheiten, mit denen Maschinen auch nachträglich aufgerüstet werden können. Sie können eine Vorverarbeitung der aus den Anlagen gewonnenen Daten durchführen (z.B. eine Umwandlung, Kompression, Filterung oder Voranalyse) und senden sie dann zur Weiterverarbeitung an einen Rechner vor Ort oder an ein entferntes Rechenzentrum. Auf diese Wiese können die Zustände von Maschinen und Werkzeugen erfasst und zu einem gesamtheitlichen Zustandsbild integriert werden (Condition Monitoring). Unter Einsatz moderner Analysetools können dann verschiedene Einsichten aus diesen Daten gewonnen werden. Ein weit verbreitetes Anwendungsszenario ist beispielsweise Predictive Maintenance, also die vorausschauende Wartung.

Herausforderungen im Kunststoffverarbeitungsbetrieb

Die Digitalisierung in der Kunststoffverarbeitung – und hier speziell im Produktions- und Fertigungsumfeld – ist eine zentrale Herausforderung für die Wettbewerbsfähigkeit der Branche und des Fertigungsstandorts. Im vom Land Oberösterreich geförderte Projekt DIRETRONET wurden aktuelle Aufgabenstellungen in den Unternehmen erhoben. Produktionsverfügbarkeit und digitale Produktionsplanung im Spritzguss, aber auch Themen wie Geisterschicht durch Digitalisierung und digitale Qualitäts- und Prozesskontrolle beschäftigen die Kunststoffverarbeitungsbetriebe. Auch beim digitalen Bestell- und Auftragswesen ortet man Nachholbedarf. Wesentlich für viele der geschilderten Digitalisierungsprojekte in den Unternehmen ist: Welche Daten sind wichtig? Welche Datenauswertung hilft für zukünftige Digitalisierungsschritte und wo läuft man Gefahr durch Produktionscontrolling die Flexibilität einzubüßen?

Der Schutz der Daten

Weil industrielle Daten einen enormen Wert darstellen, hat IT-Security in den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen. Dabei geht es einerseits um technische Schutzmaßnahmen von IT-Systemen, andererseits aber auch um die Erfüllung rechtlich vorgegebener Rahmenbedingungen, insbesondere der Datenschutzgrundverordnung. Und natürlich müssen Betriebsgeheimnisse geschützt werden. Das ISN – Information Security Network (siehe Factbox) des IT-Clusters bietet zu diesen Themen eine Plattform für Bedarfsträger und Experten. Unter anderem gibt es eine CISO Exchange Runde, also einen Erfahrungsaustausch unter Security-Verantwortlichen in der Industrie.

Datensouveränität und Datenmärkte

Mit IT-Security ist der defensive Aspekt im Hinblick auf Datenzugriff abgedeckt. Ist man diesbezüglich gut aufgestellt, kann man sich auch mit der „Kehrseite der Medaille“ befassen: der gezielten Öffnung der eigenen Datenquellen für Geschäftspartner. Die Daten bieten Potenzial für ganz neue Arten der Verwertung, die über klassische Anwendungsfälle und pure Effizienzsteigerung hinausgehen. So sollte man sich auch mit Szenarien des verstärkt unternehmensübergreifenden Datenaustauschs auseinandersetzen, mit dessen Potenzial und den einhergehenden Herausforderungen. Eine unverzichtbare Grundlage dafür ist Datensouveränität, ein Schlüsselbegriff in der Datenökonomie. Das bedeutet, dass alle Datenlieferanten, zu jedem Zeitpunkt sicher sein können, dass ihre Daten nur an diejenigen Empfänger gehen, die sie festlegen, und zwar zu den Konditionen, die sie bestimmen. Das Ganze wird über eine vertrauenswürdige – im besten Falle zertifizierte – digitale Infrastruktur abgewickelt. Das Gesamtsystem kann als ein sogenannter Datenmarkt angesehen werden, der eine Vielzahl von IoT-Plattformen und Cloudservices einbindet. Modernste digitale Technologien werden dabei eine wesentliche Rolle spielen, beispielsweise Analytics und Künstliche Intelligenz zur Gewinnung neuer Erkenntnisse aus noch größeren Datenmengen oder Blockchain und darauf aufbauende „smart Contracts“ für die flexible aber gleichzeitig rechtsverbindliche Abwicklung von Geschäften. Die eigentliche Herausforderung dabei wird wohl weniger die Technik sein, sondern die Entwicklung von neuen Geschäftsmodellen und neuen Wegen der Vertragsgestaltung. Die InDI - Industrial Data Initiative des IT-Clusters bietet ein ideales Innovations-Umfeld für Industrie­unternehmen aller Branchen rund um „industrielle Daten“ und das Zukunftsthema „Datenmärkte“.

Digitales Retrofitting

Zurück von der Zukunftsvision zu pragmatischen Ansätzen in der Gegenwart: Der Kunststoff-Cluster ist gemeinsam mit anderen Clustern am Projekt DIRETRONET beteiligt. Ziel des Projekts ist der Aufbau eines praktischen Unterstützungsumfeldes für die regionale Industrie zum Thema industrielle Digitalisierung. Die zentrale Frage ist dabei, welche Überlegungen und Schritte im Zuge einer allfälligen Nachrüstung (Retrofitting) bestehender Anlagen anzustellen sind. Hier bietet sich oftmals eine gute Gelegenheit, allenfalls große Schritte in Richtung „Industrie 4.0“ zu tun. Die Fragestellungen hinsichtlich Basistechnologien, Standards, Anbietern usw. sind jedoch herausfordernd. Im genannten Projekt werden dutzende Gespräche in unterschiedlichen - in den Clustern gebündelten - Branchen geführt, um den Ist-Stand zu erheben und branchentypische Szenarien bezüglich digitalem Retrofitting herauszuarbeiten. Unter wissenschaftlicher Begleitung wird daraus ein Handlungsleitfaden abgeleitet. Dieser wird neben allgemein gültigen Schritten auch branchenspezifische Aspekte enthalten und auf Best-Practice Beispiele verweisen. In der Zukunft können beispielsweise in einem „Industrial ClouPool“ industrielle Software-Services in einer strukturierten Sammlung gebündelt zugänglich gemacht werden und so den Unternehmen einen ersten Zugang zur Welt der Cloud-Services für industrielle Szenarien erleichtern.

ISN - Information Security Network

Sicherheit ist ein Grundbedürfnis – für Menschen und verstärkt auch für Unternehmen. Arbeits- und Geschäftsprozesse basieren zunehmend auf IT-Lösungen und lassen damit die Angriffsfläche steigen. Das Information Security Network (ISN) des IT-Clusters sieht sich als Tor zu Anbietern und als Orientierungshilfe.
www.itcluster.at/isn

Der Autor
DI Dr. Robert Stubenrauch ist Projektmanager für Industrial Data im IT-Cluster der oö Standortagentur Business Upper Austria. Er ist Ansprechpartner für alle Fragen rund um die Digitalisierung der Industrie.
 

Das Projekt DIRETRONET wird vom Land Oberösterreich im Rahmen der Leitinitiative Digitalisierung gefördert.


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