23.06.2016
Zur Lage der europäischen Kunststoffindustrie
Trotz einer Fülle von Herausforderungen, die von Meeresabfällen bis hin zu mehreren Fällen von Force Majeure bei Rohstofflieferanten reichen, blickt die europäische Kunststoffindustrie mit stabiler Konstitution und vorsichtigem Optimismus in Richtung K 2016. Aber es gilt auch noch zahlreiche Hürden zu überwinden.
Applied Market Information (AMI), ein Beratungsunternehmen für die Kunststoffbranche, hat kürzlich festgestellt, dass die europäische Kunststoffindustrie „sich wieder einmal in einer Phase des Umbruchs und des Wandels befindet und noch immer darum kämpft, sich aus der Stagnation zu befreien, die durch die große Rezession 2008-2009 und die nachfolgende Krise in der Eurozone 2012-2013 ausgelöst wurde.“ AMI prognostiziert bis 2019 ein Wachstum der Polymernachfrage um knapp über 1 % im Jahr.
Produzenten sind zufrieden
Insgesamt zeigen sich die europäischen Polymerproduzenten optimistisch. So sagt beispielsweise Mark Garrett, CEO bei Borealis, dass die Margen in der integrierten Polyolefinindustrie historische Dimensionen erreicht haben. Er merkt an, dass eine solide Nachfrage in Kombination mit Lieferengpässen, insbesondere infolge außerplanmäßiger Produktionsunterbrechungen, Auswirkungen auf die Polyolefinpreise gehabt hat.
Verarbeiter haben mehr zu tun
Berichte von Branchenverbänden aus mehreren Ländern, die Wachstum verzeichnen, weisen auf eine Verbesserung der Aussichten der kunststoffverarbeitenden Industrie in Europa hin. Selbst in Italien, wo der Verbrauch seit einiger Zeit bestenfalls als schwach zu bezeichnen war, sieht der Verband der Maschinenhersteller Assocomaplast einen starken Aufwärtstrend bei der Auftragslage. In Deutschland konnte der Sektor selbst nach dem Rekordjahr 2014 noch ein weiteres moderates Wachstum verzeichnen. Dennoch klagt Dirk Westerheide, Präsident des deutschen Gesamtverbands Kunststoffverarbeitende Industrie GKV, über größere Lieferengpässe und die äußerst volatile Preisentwicklung bei den Rohstoffen, insbesondere bei Polyethylen und Polypropylen.
Instabile Rohstoffversorgung
Kunststoffverarbeiter in ganz Europa hatten im vergangenen Jahr Probleme mit der Rohstoffbeschaffung. Mehrere große Polyolefinwerke standen längere Zeit still, und die weltweiten Rahmenbedingungen für Wirtschaft und Handel erschwerten den Verarbeitern die Beschaffung von Rohstoffen an internationalen Märkten. Zu diesen Faktoren gehörten nicht nur der relativ schwache Euro gegenüber dem US-Dollar, sondern auch die anhaltend starke Nachfrage nach Kunststoffen in Asien und den USA. Im laufenden Jahr gibt es jedoch Anzeichen für eine weniger volatile Preisentwicklung.
Diese Situation war für den Dachverband der europäischen Kunststoffverarbeiter EuPC (European Plastics Converters) der Anlass für die Gründung der „Allianz für Polymerversorgung in Europa“, um „detaillierte Informationen zum aktuellen Polymermarkt bereitzustellen, die Rohstoffverarbeiter über das Netzwerk nationaler Kunststoffverbände zu unterstützen und Unternehmen bei der Beantragung der Aussetzung von bestimmten EU-Importzöllen zu helfen, um Engpässen auf den Polymermärkten entgegenzuwirken.“
Im Februar hat die Allianz für Polymerversorgung in Europa ihre europaweite Online-Umfrage zur Kundenzufriedenheit gestartet, um die besten Polymerhersteller für Europa auszuzeichnen. „Wir haben die Best Polymer Producers Awards for Europe ins Leben gerufen, um wieder eine gute Kommunikation zwischen Anwendern von Polymeren und ihren Lieferanten herzustellen, die in der letzten Zeit ganz offensichtlich gelitten hat“, sagt Ron Marsh, Vorsitzender der Allianz.
Energie ist immer noch zu teuer
Energiekosten sind von großer Bedeutung für die gesamte Kunststoffindustrie. Besonders laute Kritik kommt von Unternehmen der gesamten deutschen Industrie, wo die Energiekosten zu den höchsten in Europa gehören. Die deutsche Chemieindustrie macht sich ebenfalls Sorgen um ihre sinkende internationale Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere gegenüber nordamerikanischen Unternehmen, die von Schieferöl und -gas profitieren können.
Deshalb richten sich gerade viele Blicke auf den Petrochemieriesen Ineos, der seit kurzem Ethan aus der Marcellus-Formation in den USA nach Norwegen importiert. In einigen Monaten wird dann voraussichtlich das erste schiefergasbasierte Polyethylen aus Europa auf den Markt kommen. Ineos steht auch in den Startlöchern für die Förderung von Schiefergas in Großbritannien, wobei für 2016 noch kein Fracking geplant ist. Das Unternehmen will Schiefergas sowohl als Energieressource als auch als Einsatzstoff für Polymere verwenden.
Die Kreislaufwirtschaft
Neben der Sorge um eine ausreichende Rohstoff- und Energieversorgung wächst in Europa auch das Bewusstsein, dass man sich verstärkt um Einsatz, Wiederverwendung und Erhaltung wertvoller Kunststoffe kümmern sollte. Ende letzten Jahres hat die Europäische Kommission ein aus ihrer Sicht ehrgeiziges neues „Maßnahmenpaket zur Kreislaufwirtschaft“ (Circular Economy Package, CEP) verabschiedet. Dieses soll „dazu beitragen, den Kreis der Produktlebenszyklen durch mehr Recycling und Wiederverwendung zu schließen, und sich damit sowohl beim Umweltschutz als auch in der Wirtschaft positiv auswirken.“
Die Kommission hat zudem eine Überarbeitung der Abfallgesetzgebung vorgeschlagen. Zu den Schlüsselelementen gehören ein einheitliches EU-Ziel für Recycling von 75 % der Verpackungsabfälle bis 2030 und ein Deponieverbot für getrennt gesammelte Abfälle. „Weniger als 25 % des Kunststoffabfalls werden recycelt, und rund 50 % auf Deponien entsorgt“, sagt die Kommission.
PlasticsEurope, der Verband der europäischen Kunststoffhersteller, hat das CEP „als einen weiteren Schritt in Richtung Ressourceneffizienz“ begrüßt, aber auch Bedenken geäußert. „Die europäische Kunststoffindustrie fordert seit längerem eine rechtlich bindende Deponiebeschränkung für alle recycelbaren und andere wiederverwertbare Post-Consumer-Abfälle bis 2025“, erklärt der Verband. „Auch wenn ein 10-%-Ziel ein Schritt in die richtige Richtung ist, bleibt es doch ein halbherziger Versuch zur Beendigung der Deponieentsorgung sämtlicher Abfälle, die als Ressource genutzt werden können.“
European Bioplastics (EUBP), der Verband der Lieferanten biobasierter Kunststoffe, äußerte sich positiver zum Bericht und sagt, dass „zukunftsgerichtete Sektoren mit ausgeprägten Umweltschutzvorteilen und Wachstumspotenzialen, wie Biokunststoffe, gefördert werden sollten.“ Der Verband prognostiziert, dass die Produktionskapazitäten für Biokunststoffe in der EU bis 2025 um das Zwanzigfache auf dann 5,7 Millionen Tonnen ansteigen werden.
Eine neue industrielle Revolution?
Trotz all dieser Bedenken richtet die europäische Kunststoffindustrie den Blick klar auf die Zukunft. Zahlreiche europäische Maschinenhersteller werden auf der K 2016 die Zahl 4.0 an ihren Ständen gut sichtbar platzieren und so für ihre „intelligenten“ Fabriken werben, die sie im „Industriellen Internet der Dinge“ (industrial Internet of Things, IIoT) betreiben. 4.0 steht dabei für Industrie 4.0, einen Begriff, der in Deutschland geprägt wurde. Er bezieht sich auf eine Entwicklung, die als die vierte industrielle Revolution wahrgenommen wird – und auf den Plan der deutschen Regierung, der deutschen Industrie auch zukünftig eine Vorreiterstellung zu sichern. Befürworter der Industrie 4.0 sehen darin einen Paradigmenwechsel weg von der zentralisierten hin zur dezentralen Produktion.
„Industrie 4.0 ist vor allem eines: eine Riesenchance, die wir gemeinsam mit unseren Kunden nutzen wollen“, sagt Dr Stefan Engleder, CTO beim Spritzgussspezialisten Engel.“ Dennoch findet er das Wort „Revolution“ nicht wirklich passend. „Der Wandel, den wir derzeit erleben, ist eher eine Art Evolution“, erklärt er. „Für uns ist Industrie 4.0 kein neues Konzept, sondern in vielen Bereichen bereits langjährige Praxis im Arbeitsalltag.“ Das sehen andere Branchenakteure sicherlich ähnlich. Westerheide vom GKV ist überzeugt, dass neue digitale Technologien auch Kunstsstoffverarbeitern neue Perspektiven eröffnen und sagt: „K 2016 wird uns eine ausgezeichnete Gelegenheit bieten, die Vorteile der Digitalisierung für unsere Industrie zu erkunden.“
Informationen zur K 2016 unter: www.k-online.com