WERTstoff Kunststoff: Biokunststoffe

Marketinggag oder Alternativlösung?

Grünes Fragezeichen
© pixabay

24.11.2021

Kunststoffe sind in nahezu allen Lebensbereichen wie Medizintechnik, Elektronikindustrie, Baubranche, im Bereich der Mobilität sowie in der Lebensmittel- und Verpackungsindustrie präsent. Die Materialien helfen auch, Ressourcen bei Energie, Wasser und Rohstoffen einzusparen. Wie Kunststoff in der Praxis zum Wertstoff wird und welche Bedeutung Biokunststoffe haben, war Thema einer Kooperationsveranstaltung des Kunststoff-Clusters mit der HTBLA Andorf. Experten heimischer Firmen hielten Fachvorträge, die von einer Podiumsdiskussion abgerundet wurden.

Die vierte Ausgabe der Kooperationveranstaltung der Andorf Technology School mit dem Kunststoff-Cluster thematisierte ein Thema der Stunde: Sind Biokunststoffe nur Marketinggag oder Alternativlösung? Aufgrund der erneut eskalierenden Coronapandemie musste die Veranstaltung kurzfristig auf Online umgestellt werden, was der Interaktivität der 60 Teilnehmer*innen, darunter Firmenvertreter*innen, Eltern, Lehrkräfte und Schüler*innen, und der spannenden Podiumsdiskussion mit den Referenten keinen Abbruch tat. Klemens Treml als Professor für Kunststofftechnik an der HTL konnte einen tollen Referentenkreis zu diesem Spannungsthema gewinnen, die in ihren Bereichen als tatsächliche Biokunststoff-Experten der ersten Stunde gelten.

Biokunststoffe – Eigenschaften und Perspektiven

Dr. Christoph Burgstaller | GF Transfercenter für Kunststofftechnik GmbH & Professur für Kunststofftechnik, FH OÖ
Der Geschäftsführer der Transfercenter für Kunststofftechnik GmbH, einer außerordentlichen Forschungseinrichtung in Wels, und seit 2021 auch Professor für Kunststofftechnik an der FH OÖ, gab einen Überblick zu der Vielfalt der Biokunststoffe, die derzeit aber nur einen kleinen Teil der Kunststoffe ausmachen, wie er betonte. Ein Problem aus seiner Sicht: Etikettenschwindel.

„Eine HTL-Diplomarbeit zur Kompostierbarkeit von in Supermärkten als Biokunststoff deklarierten Folienbeutel zeigte, dass 5 von 20 Produkten offensichtlich falsch gekennzeichnet waren“, erklärt Burgstaller.

Biokunststoffe sind Funktionspolymere und machen primär nur dort Sinn, wo ein Kunststoff nicht mehr von der Umwelt getrennt werden kann. Die Abbaubarkeit muss mit Gütesiegeln bestätigt sein. Laut der vorliegenden Studie waren tatsächlich nur die mit externen Prüflabels (z. B. TÜV) gekennzeichneten Produkten gut biologisch abbaubar. Aus Sicht des Experten sind Biokunststoffe eine CO2-reduzierte Alternative zu erdölbasierten Kunststoffen. Eine „Lizenz zum Wegwerfen“ ist aus den Produkteigenschaften nicht abzuleiten. Burgstaller: „Es werden die nächsten Jahre noch ein spannendes Forschungsthema bieten, um die unterschiedlichen geforderten Eigenschaftsprofile und Verarbeitungswege auch industriell mit Biokunststoffen darstellen zu können.“

Biokunststoffe – Bedeutung und Erfahrungen aus der Sicht eines Folienherstellers

Dr. Andreas Brandstätter | Leiter F&E, Lenzing Plastics GmbH & CO KG
Die Lenzing Plastics GmbH & Co KG wurde 2000 aus der Lenzing AG als Kunststoffverarbeiter für Spezialitäten wie extrusionsbasierte und hochfeste Folien sowie erstreckte Bändchen herausgelöst. Das Unternehmen ist seit 2013 als eigenständiges Unternehmen mit vier Standorten rund um den Attersee tätig. Dr. Andreas Brandstätter, Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung, stellte in seinem Vortrag die Bedeutung von Biokunststoffen aus eigenen Erfahrungen vor. Der Folienhersteller kann schon einige Umsetzungen mit Biokunststoffen präsentieren. Besonders bioabbaubare Produkte aus der Forstwirtschaft bieten Vorteile für die Werkstoffgruppe. Genauso gibt es bei Lenzing Plastics auch Lösungen aus biobasierten Quellen (sogenannten Drop-In-Lösungen), die stark nachgefragt werden. Aktuell forscht man in einem größeren Projekt an kompostierbaren Folien.

Nachhaltige Verpackungen aus nachhaltigen Quellen

Dr. Stephan Laske | Global Director R&D, Greiner Packaging International GmbH,
thematisierte nachhaltige Verpackungen aus nachhaltigen Quellen und stellte die für Greiner Packaging wichtigen Aufgabenstellungen für Verpackungslösungen vor. Wesentlicher Faktor ist dabei die Quelle, die den CO2-Footprint definiert.

„Bei Innovationen aus dem Hause Greiner wird darauf geschaut, dass nur soviel Kunststoff wie nötig und möglichst auch recycelte Kunststoffe eingesetzt werden können. Hier haben wir mit rPET und rPS schon beachtliche Entwicklungserfolge erzielt“, sagt Laske.

Auch mit Joghurtbechern laufen Pilotprojekte, um diese wieder für Lebensmittelprodukte verfügbar zu machen. „Der Biokunststoffbereich aus ökologisch sinnvollen Quellen wird sich weiterentwickeln und neue Angebote schaffen“, versichert der Experte. Direkter Anbau und damit ein Wettbewerb der Agrarflächen macht aus Sicht von Laske wenig Sinn.

Biopolymere – Teil der Lösung oder Teil des Problems?

Ing. Gerhard Zenz | Anwendungstechniker Biesterfeld-Interowa GmbH & Co KG
Die Biesterfeld-Interowa GmbH & Co KG ist einer der größten europäischen Rohstoffdistributeure für technische Kunststofflösungen zum Thema Biopolymere. Anwendungstechniker Ing. Gerhard Zenz zeigte den Mengenanteil von Biokunststoffen im Vergleich zu konventionellen Kunststoffen in Europa und weltweit auf. Es sind aktuell nur 0,5 % der Gesamtkunststoffmenge und auch die prognostizierten Wachstumsraten bis 2025 ändern daran nichts Signifikantes. Biesterfeld hat dazu auch ein umfangreiches „Green Material“-Portfolio aufgestellt, wobei Nachhaltigkeit der Beratungsansatz für die Kunden ist.

„Ökologie und Soziales müssen stets – im Kontext der wirtschaftlichen Betrachtung – in Beziehung zueinander gesehen werden und auf das Wirtschaftsmodell abgestimmt sein. Nur dann ist Nachhaltigkeit auch für Kunststoffe und Produkte gut zu definieren“, betont Zenz.

>> Was sind Biokunststoffe? (Quelle: kunststoffe.de) 

Digitale Schulstunden vom Kunststoff-Cluster

In der Pause zwischen den Vorträgen stellte Timna Reisenberger, Projektmanagerin im Kunststoff-Cluster, die neue Initiative „Mit Plastik richtig umgehen“ vor, die Lehrkräften 14 unterschiedliche digital verfügbare Schulstunden und Produktbeispiele zur Verfügung stellt, die allesamt den WERTStoff Kunststoff und die vielfältigen Ausbildungsmöglichkeiten mit dem Werkstoff aufzeigen sollen.

>> Fachkräfte für die Kunststoffbranche