Wohin die Reise geht – Kunststofftechnik an der JKU

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Univ.-Prof. DI Dr. Gerald Berger-Weber © Opernfoto Graz

01.10.2021

Die JKU Kunststofftechnik blickt auf erfolgreiche Jahre zurück – im Forschungsbereich, bei Projekten und zuletzt durch den Aufbau der Pilotfabrik der LIT Factory. Als Experte für Kunststoffverarbeitung wird Univ.-Prof. DI Dr. Gerald Berger-Weber das neue Institut für Polymer Processing und Digital Transformation an der JKU Linz leiten. Welchen Forschungsfragen er sich widmen möchte und wo er die größten Herausforderungen sieht, verrät er uns in einem Interview. 

Welchen wichtigen Fragen möchten Sie sich in Ihrer neuen Funktion widmen?

Meine Zukunftsthemen in der Kunststoffverarbeitung sind die Digitale Transformation, die Simulation als „physikalisches Modell“ der Formgebungsprozesse sowie das Thema Nachhaltigkeit. Natürlich werde ich die bestehenden Großforschungsvorhaben der JKU im Bereich Kunststoffverarbeitung fortführen und insbesondere die sehr erfolgreichen Industrie- und Forschungskooperationen stärken. Ich pflege einen ganzheitlichen und kooperativen Ansatz – immer den Fokus auf die Anwendbarkeit meiner Forschungsergebnisse gerichtet. Forschung muss der Gesellschaft und der Industrie helfen, die Herausforderungen der Zukunft besser zu meistern.

Kunststoff und sein negatives Image – wo sehen Sie hier Handlungsbedarf?

Es wird nicht über einzelne Anwendungen und die fachgerechte Kreislaufführung diskutiert, sondern Kunststoff im Allgemeinen wird in der Öffentlichkeit oft als Problem wahrgenommen, das es zu eliminieren gilt. Wir an den Universitäten spüren das unmittelbar an sinkenden Studierendenzahlen, aber auch der Lehrlingsnachwuchs in der Industrie stagniert. Im Wandel zu einer nachhaltigen Gesellschaft können wir auf den Werkstoff Kunststoff mit seinen vielen Vorteilen nicht verzichten. Im Gegenteil: Kunststoffe sind Teil der Lösung! Es muss uns also gelingen, junge Leute trotz des aktuellen Images von Kunststoffen für ein Studium der Kunststofftechnik zu begeistern und auf die Bedeutung der Ausbildung zur Erarbeitung faktenbasierter Lösungen für den Einsatz und die Wiederverwertung von Kunststoffen hinzuführen.

Wo sehen Sie mit Blick auf Ihre bisherigen Forschungsschwerpunkte Advanced Manufacturing, dynamische Werkzeugtemperierung und Simulation die größten Herausforderungen?

Dynamische Temperierung von Formgebungswerkzeugen ist bereits Stand der Technik. Der breite Einsatz scheiterte aber bisher zumeist an Energieeffizienz sowie Heiz- und Kühlraten. Gerade die rasante Entwicklung der letzten Jahre im Bereich Additiver Fertigung mit metallischen Werkstoffen wird hier einen weiteren Technologiesprung in der Kunststoffverarbeitung ermöglichen. Die systematische Modellbildung und Simulation von Fertigungsprozessen sehe ich als unerlässliches Tool für Ausbildung, Entwicklung und Forschung. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass sich die Simulationsergebnisse trotz sorgfältiger Vorbereitung oftmals nicht mit den Ergebnissen einer experimentellen Validierung decken. Wesentliche Störfaktoren sind hier die Stoffdatenmessung bzw. die Materialmodelle, gefolgt von der exakten Modellierung des Verarbeitungsprozesses sowie der Modellierung von äußeren Störgrößen. Mein langfristiges Ziel ist es, diese Lücken zu schließen. Dann erst kann Prozesssimulation effizient an der Digitalen Transformation mitwirken. Und was Advanced Manufacturing betrifft – also den intensiven Einsatz innovativer Technologien – so scheitern KMU leider oft bereits an der Flexibilität, Leistbarkeit, Benutzerfreundlichkeit oder Durchgängigkeit der unterstützenden Softwaretools.

Wie kann heute schon ein KMU aktuelle Forschungsergebnisse nutzbar machen? Was sind konkrete Angebote an die Industrie zur Forschungskooperation?

Hier sehe ich den größten Aufholbedarf. Insbesondere die KMU in der Kunststoffverarbeitung benötigen Unterstützung bei den Prozessen der Digitalen Transformation. Zusammen mit den Instituten und Kompetenzzentren der JKU, den großen Unternehmen der Kunststofftechnik und den weiteren wissenschaftlichen Playern in der Digitalisierung ergeben sich große Potenziale für kollektive Forschungs- und Entwicklungskooperationen. Es muss uns gelingen, neben dem universitären Studium auch einen niederschwelligen Zugang zu Wissen, Pilotanlagen und Best-Practice-Beispielen zu schaffen. Hier sehe ich das Linz Institute of Technology (LIT) und die Linz School of Education als potenzielle Enabler und insbesondere die LIT Factory als zentrale Plattform. Industrie und KMU müssen sich als aktive Partner im Lernprozess verstehen. Die Erfahrung zeigt, dass jene Projekte, bei denen die Firmenpartner aktiv bereits in der Entwicklung der digitalen Assistenzsysteme mitwirken, den größten Mehrwert für die Unternehmen schaffen.

Gerald Berger-Weber studierte Kunststofftechnik an der Montanuniversität Leoben (MUL) und schloss 2006 sein Doktoratsstudium ab. Nach beruflichen Stationen unter anderem bei MAGNA Intier Automotive und dem Polymer Competence Center Leoben folgte 2018 seine Habilitation im Fach Kunststoffverarbeitung. Bis September 2021 vertrat er als Assoziierter Professor im Department Kunststofftechnik der MUL das Thema Advanced Manufacturing, ehe er am 1. Oktober 2021 an die JKU Linz auf die Professur für Polymer Processing and Digital Transformation wechselte.

„Zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen und meinem Team möchte ich die internationale Sichtbarkeit der JKU-Kunststofftechnik noch weiter ausbauen und die kunststoffrelevanten Studiengänge in Richtung Digitale Transformation und Nachhaltigkeit gestalten.

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